Ötztaler Radmarathon und die Frage, warum Mann und Frau sich das antun? Weil es einfach mehr als geil ist!
Ötztaler Radmarathon und die Frage, warum Mann und Frau sich das antun? Weil es einfach mehr als geil ist!
Ein Bericht von Robert-Mario Hirschmann
Über 20.000 Interessierte im Lostopf für knapp 4.500 Startplätze, alleine diese beiden Zahlen machen deutlich, dass der Ötztaler Radmarathon etwas ganz Besonderes ist.
Eigentlich wollte ich nach 2 Teilnahmen nicht wieder am Ötzi teilnehmen. Eine mir bekannte Radspartenleiterin äußerte jedoch im Herbst 2022 die Idee, mit ein paar (verrückten) Athleticos gemeinsam an dem Event teilnehmen zu wollen. Relativ schnell fanden sich insgesamt 7 Interessierte mit blauen Trikots in den Schränken, die sich auch im November sowohl als Team, als auch über Freunde in den Lostopf haben packen lassen. Leider hatten wir kein Glück, zumal von den ursprünglichen Interessierten nur noch 4 Athleticos und ein befreundeter Radsportkollege übrig blieben. Richtig, die ursprüngliche Initiatorin konnte sich die Tour aus mehreren Gründen nicht mehr vorstellen, ich sage nur: „Selber Schuld“
Sei es drum, am Ende reiste nur der Athletico mit dem befreundeten Radsportkollegen nach Sölden, der eigentlich gar nicht mehr hin wollte und sich hat überreden lassen.
Trotz fehlenden Losglücks konnten die beiden Startplätze in Kombination mit einer Unterkunft erworben werden.
Obwohl die Verlosung erst im Januar stattfand, begann bereits im November 2022 das Training und eine Ernährungsumstellung nebst Diät, denn in einem kleinen Moment von Größenwahn wurde die Zielzeit von netto unter 10 Stunden festgelegt. (Danke an Asko!)
Leider konnten in der Wintersaison deutlich weniger Samstagsausfahrten, ich nenne sie immer Überlebenskampf am Limit mit leichten Depressionen danach, in den Hüttener Bergen stattfinden und auch das klassische Mittwochstraining über den Westensee-Hügel konnte wetterbedingt auch kaum praktiziert werden.
Neben klassischem Muskelaufbautraining in der Mucki-Bude und Spinning-Sessions morgens um 06.00 Uhr galt es, so viele Trainingskilometer zu sammeln, wie geht.
Aus dem BDR-Breitensportkalender wurden dann alle höhenmeterlastigen Radmarathons herausgesucht, angemeldet und Hotels gebucht. Neben den klassischen Radmarathons des NordCup, die durch Heirat und daraus resultierenden vertraglichen Verpflichtungen, nur als Regeneration oder GA1-Touren gefahren werden konnten, stand am 01.05. der erste Marathon der Saison mit mehr als 3.000 Höhenmetern auf dem Trainingsplan. Dem folgten 2 Doppelwochenenden mit 2 Marathons und der Klassiker in der Rhön, denn Pfingsten fährt man Bimbach!
Das übliche „Mittwochsgeballer“, einige CTFen, ein lockereres Fahren Dienstags sollten dann ab Frühjahr das Training komplettieren.
Pünktlich Anfang Juli meldete die Waage „Ziel erreicht, 7 Kilo abgenommen“ und so machten sich 2 tapfere Streiter am 05.07. morgens um 07.00 Uhr auf den Weg nach Sölden.
Abends wurde eine kleine, feine Pension im Ort bezogen und Donnerstagmorgen stand die erste Erkundungsfahrt inklusive Training auf dem Plan, das Kühtai.
Das Kühtai bildet den ersten der insgesamt 4 Pässe des Ötztaler Radmarathons. Auf 18 Kilometer geht es rauf auf 2.015 Höhenmeter.
Freitag wurde dann der Anstieg zum Brenner von Innsbruck in Augenschein genommen, relativ moderat werden auf 44 Kilometer Anstieg in Angriff genommen. Samstag galt es dann neben einer lockeren Vorbelastung, die Renner vorzubereiten.
Pünktlich um 05.00 Uhr gab es dann ein reichhaltiges, und für Sportler geeignetes Frühstück, bevor es dann zum Startblock ging. Bei 14 Grad füllten sich alle Startblöcke mit knapp 5.000 Sportlern, die um 06.45 Uhr mit dem üblichen Kanonenschuß auf die Strecke geschickt wurden.
Traditionell werden auf einer Wiese neben dem Start Heißluftballone angeblasen und die beiden Fernseh-Hubschrauber machten die ersten Aufnahmen.
Nach einer kurzen neutralisierten Phase war das Rennen dann eröffnet, 31 Kilometer bergab nach Ötz. Dieser erste Abschnitt ist trotz Straßensperrung ziemlich gefährlich, da das Fahrerfeld noch ziemlich groß ist und sich erst „sortieren“ muss. Und so kam es, wie es kommen musste: Mehrere, teilweise schwere, Stürze ereigneten sich auf diesem Abschnitt.
In Ötz ging es dann in den ersten Anstieg, hier begann das Feld sich aufzulockern und so langsam konnten wir die Wärme und die aufsteigende Hitze bergauf spüren, die tagsüber noch ein wichtiges Thema werden sollte.
Anstieg zum Kühtai: 18 Kilometer, 1.200 Höhenmeter, max. 16%.
Auf dem Kühtai dann das erste Depot, in Österreich auch Labestation genannt. Kurz Flaschen auffüllen und rein in die zweite Abfahrt. Hier war es besonders wichtig, sich so langsam in eine Gruppe zu assimilieren, denn nach der Abfahrt folgte eine flache Etappe nach Innsbruck. Da die Auffahrt zum Brenner ebenfalls moderat war, war es besonders wichtig, im Windschatten zu lutschen und auf diesem Abschnitt so wenig Energie zu vergeuden, wie geht.
So hatte ich Glück und konnte im Schutz einer gut harmonierenden Gruppe relativ entspannt die zweite Labestation auf dem Brenner erreichen. Auch hier galt es, Flaschen auffüllen und essen, essen und essen.
Anstieg zum Brenner: 37,5 Kilometer, 777 Höhenmeter, max. 12%.
Dann ging es 18 Kilometer bergab nach Sterzig und rein in den dritten Pass, der für viele von uns schon zu einer richtigen Ansage wurde. Laut Garmin herrschten im Tal bereits 42 Grad und wir waren sehr dankbar, dass wir in vielen Vorgärten kalte Duschen und Getränke bekommen konnten. Auf 16 Kilometer ging es dann auf 2.090 Höhenmeter. Die Veranstalter hatten zum Glück rechtzeitig reagiert und auf der Strecke weitere Getränkestationen aufgebaut. Reihenweise kippten bereits in diesem vorletzten Anstieg Fahrer von ihren Rädern und gaben bereits hier auf, denn eigentlich steigen die meisten Teilnehmer im Anstieg auf das Timmelsjoch aus dem Rennen.
Auf dem Jaufenpass angekommen hieß es erneut: Trinken, trinken, essen, essen und wieder Trinken.
Hier herrschte bereits seit Stunden Partystimmung. Genau wie auf den anderen Pässen haben sich viele Verrückte auf den Weg gemacht und ihre Lager aufgebaut, Boxen aufs Dach gestellt und die Berge mit Musik beschallt. Viele Teilnehmer haben ihren eigenen Support auf der Strecke, auf jeden Fall wurden wir alle gefeiert und von den vielen Besuchern gepuscht.
Anstieg zum Jaufenpass: 15,5 Kilometer, 1.130 Höhenmeter, max. 12%.
Nach 20 Kilometer Abfahrt wartete dann das Grauen auf uns, das berüchtigte Timmelsjoch. Nach bereits knapp 175 Kilometern und einigen Stunden im Sattel sollte sich hier entscheiden, wer genug trainiert hat und wem die sengende Hitze nichts oder zumindest wenig anhaben konnte.
Vor uns standen jetzt 29 Kilometer Anstieg im feinsten „Serpentinenstil“. Hier häuften sich dann ihren Renner schiebende, am Straßenrand sitzende und völlig erschöpfte Radfahrer, die teils heulend gegen die Aufgabe kämpften.
Auch hier wurden wir in einigen Vorgärten mit eiskaltem Bergwasser abgekühlt, diese Abkühlung hielt jedoch leider nur ein paar Minuten, war aber eine schöne und wichtige Sache.
Kurz vor der Passhöhe wartet dann auf 2.474 Meter Höhe der heiß ersehnte Zielbogen, jetzt weißt Du, dass Du den Ötztaler Radmarathon bezwungen hast und Dir einen Traum erfüllen konntest.
Anstieg zum Timmelsjoch: 29 Kilometer, 1.724 Höhenmeter, max. 14%.
Abschließend liegen nur noch 26 Kilometer Abfahrt mit einer kleinen Rampe vor den Teilnehmern. Regelmäßig werden auf diesem Abschnitt die höchsten Geschwindigkeiten erreicht, bei mir waren es 2018 115,8 km/h. Dieses Jahr musste ich meinen 3 Frauen versprechen, vorsichtig zu fahren und somit betrug mein Max-Speed lediglich 96,6 km/h.
Mit Ortseingang Sölden strömen dann sämtliche Glücksgefühle der Welt durch den Körper, die Straßen sind voll mit Menschen aus der ganzen Welt und jeder, der von der Hauptstraße rechts in den Zielbereich einfährt wird frenetisch gefeiert, als wäre der oder sie der Gesamtsieger des Rennens.
Und damit ist auch die anfangs gestellte Frage beantwortet. Die letzten Minuten des Rennens und die Durchfahrt unter dem Zielbogen hindurch, machen die monatelange Vorbereitung und die Qual der vergangenen Stunden nicht nur vergessen, dieses Glücksgefühl hält noch Stunden, wenn nicht sogar Tage an und getreu dem Motto „Schmerzen vergehen, Stolz bleibt, und zwar für immer“ sind die Erinnerungen an diesen Moment unvergesslich.
Vor dem Rennen wurden 3 Ziele ausgegeben:
- Gesund und heil wieder nach Hause kommen: Check!
- Endlich ein Ötzi ohne Regen, Schnee und Temperaturen knapp über 0: Check!
- Netto unter 10 Stunden: Check! Es hat sogar für Brutto unter 10 Stunden gereicht.
Ein kleiner Wehrmutstropfen bleibt jedoch. Rechnerisch wären 230 Watt im Schnitt möglich und auch erforderlich gewesen, das haben die ganzen Vorbereitungs-Marathons gezeigt. Warum auch immer, konnte ich lediglich 195 Watt auf die Pedale bringen, knapp 20% zu wenig. Rechnet man dann diesen Leistungsverlust auf die Zeit um, wäre rechnerisch eine Zielzeit unter 9 Stunden problemlos möglich gewesen, sei es drum, am Ende bleibt es eine unvergessliche Zeit in Sölden mit meinem dritten Finisher-Trikot im Kleiderschrank.
Abends gab es dann als Belohnung Pizza, Eis und Süßigkeiten bis kurz vor Platzen, das heiß ersehnte Finisher-Shirt und ein wenig Bedauern, dass es bereits vorbei war. Nach der letzten Nacht in unserer kleinen, sehr empfehlenswerten Pension mit einem freundlichen und zuvorkommenden Gastgeber, ging es Montagmorgen dann ganz entspannt nach Hause.
Zusammenfassend die Antwort auf die Frage nach dem warum:
Der Ötztaler Radmarathon ist ein Event der Superlative, völlig professionell organisiert und vorbereitet, wunderschöne Landschaften und Anstiege, eine Herausforderung, die seines gleichen sucht, denn nicht ohne Grund gilt der Ötztaler als härtestes Jedermannrennen der Welt, die Stimmung in Sölden, Tage vor dem Event, während und auch danach, ist einzigartig. Wenn mehrere Tausend Bekloppte in eines kleines Bergdorf einfallen und es zu einem Mekka für Radsportler machen, ganze Familien als Unterstützung mitkommen, dann ist es der pure Wahnsinn, das Gefühl, erfolgreich gefinished zu haben, zu sehen, wie Finisher im Ziel zusammenbrechen und/oder vor Glück weinen und sich von Freunden, Partner, Familie und von mehreren Tausend Zuschauern feiern lassen, eine großartige Bike-Messe und am Ende das Wissen, zu denen zu gehören, die sich ihren Traum vom Ötztaler erfüllen konnten.
Jeder von Euch, der spätestens jetzt nicht mit einer Anmeldung für 2024 liebäugelt, dem kann ich dann auch nicht mehr helfen. Ride on!
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